Jedes Mal, wenn ich ins alte Rathaus, den Grafeneckart eintrete, bleibe ich vor dem "Modell" der zerstörten Stadt stehen. Ja, manches Mal zieht es mich richtig hinein vor dieses Urbild von Tod und Vernichtung. Auch meine eigene Heimatstadt, Bruchsal, hat dieses Schicksal erlitten und wurde am 1. März 1945 zu 80% zerbombt. Die Bilder davon und so vieler anderer Städte gleichen sich. Würzburg war bis zum 16. März 1945 reich an beispielhafter Architektur aller Epochen und reizvoll atmosphärischer Romantik. Viele Generationen waren daran beteiligt, haben ihr Leben und Denken darin verstetigt und sind damit verantwortlich für den wundervollen Mix aus Romanik, Gotik und den späteren neuzeitlichen Epochen.
Die Erinnerung an den letzten Weltkrieg sitzt tief in uns. Diese Entladung von Aggression, Zerstörung, Verletzung, Wut und Tod kann auch nicht einfach ausheilen oder durch späte Geburt weggewischt werden. Meiner tiefen Überzeugung nach brauchen wir dazu einen Bezugspunkt, der weit über uns hinaus geht und uns zugleich ganz nahe ist. Der eben, weil er nicht mehr hinterfragt werden kann, der "Tisch" sein kann, an den wir uns gemeinsam setzen können, ohne uns gleich wieder in die Haare zu geraten. Daraus mag sich das entwickeln, was wir Frieden nennen.
Sich bedingungslos für den Frieden einzusetzen, gehört zu den anstrengendsten Aufgaben, zu denen nicht nur wir Christen verpflichtet sind. Und es scheint, als könnten wir sie nicht alleine schaffen. Überall und weltweit geraten wir aneinander, so dass es an ein Wunder grenzt, dass die Menschheit sich nicht schon längst selbst entsorgt hat. An vielen Ecken der Welt herrscht Krieg und das Damoklesschwert des nuklearen Overkills hängt noch immer über uns. Hoffen wir also und glauben es inständig, dass wir bei der Bitte um Frieden nicht allein gelassen werden. Dabei können uns die Erinnerungen an den 16. März 1945 eine große Hilfe sein. Sie am Tisch des Friedens auszubreiten und zu betrachten bedeutet, mit ihnen pfleglich, verantwortungs- und hoffnungsvoll, ja dankbar umzugehen.
Dietrich Preiser ist Vorsitzender des Dekanatsrats der Katholiken in Würzburg-Stadt und Vizepräsident der Fränkischen St. Jakobus Gesellschaft Würzburg
Der Impuls "Sinn & Religion" erscheint wöchentlich auf der Internetseite der Kirche in der Region Würzburg.