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Impulse

Unterschiedlichste Autoren im Bistum Würzburg veröffentlichen regelmäßig spirituelle Texte in Tageszeitungen, im Internet oder in Druckwerken. Die Interpretationen der christlichen Botschaft bestärken im Glauben, im alltäglichen Leben und regen zum Nachdenken an. Einige dieser Texte stellen wir hier für Sie zusammen.

Ein sperriges Gleichnis

Es beginnt ganz harmlos. Wie so oft erzählt Jesus ein Gleichnis: "Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an …".

Betrachtung zum Sonntagsevangelium – 27. Sonntag im Jahreskreis

Evangelium

In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes: Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen. Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie. Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. Wenn nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun? Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist. Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder? Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen. Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt.
Matthäus 21,33–44
 
Ich sitze in der ersten Reihe und höre gespannt zu. Doch je länger der Redner spricht, umso mehr erstarre ich. Innerlich bin ich ganz aufgewühlt, denn was er sagt, löst in mir die schlimmsten Erinnerungen aus. Was ich mir anhören muss, nimmt mir die Luft, und am liebsten wäre ich jetzt woanders.
 
Kennen Sie solche Situationen? So ähnlich erging es mir beim ersten Hören auf das Sonntagsevangelium. Zunächst ist es für mich alles andere als „Evangelium – gute Nachricht“. Nimmt man noch seine Wirkungsgeschichte dazu, dann wird das „Sonntagsevangelium“ zu einer Horrorgeschichte.
 
Es beginnt ganz harmlos. Wie so oft erzählt Jesus ein Gleichnis: „Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an …“. Einerseits mussten sich Jesu kundige Zuhörer an Jesaja 5 erinnert fühlen, wo Israel mit einem Weinberg verglichen wird. Andererseits kannten sie in Galiläa ganz ähnliche Geschichten von verpachteten Weinbergen. Manchmal kam es auch da zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Besitzern und Pächtern. Die Erzählung gewinnt an Tempo und nimmt einen verhängnisvollen Lauf. Sie endet mit Mord und Totschlag an den Knechten und sogar am Sohn des Gutsbesitzers. Doch das begangene Unrecht fällt grausam auf die Pächter zurück.
 
Die Pointe wurde von den Zuhörern, den führenden Leuten des Volkes zurzeit Jesu, sehr wohl verstanden. So verrät es uns wenigstens Matthäus in den darauffolgenden Versen. Nicht irgendjemand, sondern sie selbst waren gemeint. Eine düstere, ja finstere Geschichte. Zur Horrorgeschichte wird sie, wenn man ihre Wirkung in der Kirchengeschichte mit berücksichtigt. Manche meinten, indem sie die in der Erzählung angelegten Linien weiter auszogen, darin eine Begründung für die endgültige Verwerfung Israels oder gar eine Rechtfertigung für christlichen Antisemitismus zu sehen. Spätestens hier muss uns das Blut vor Entsetzen und Scham in den Adern erstarren.
 
Gleichzeitig fallen mir noch andere Bilder zum Weinberg Gottes ein, die allerdings auch nicht erbaulich sind. Im Zeitalter der Reformation und der Gegenreformation beschuldigten sich Protestanten und Katholiken gerne gegenseitig, den Weinberg Gottes zu verwüsten. An polemischen Bildern, die das veranschaulichen, fehlte es auf beiden Seiten nicht. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Heute sind es weniger unsere Kirchen, sondern oft die unterschiedlichen Gruppierungen in jeder Kir-che, die sich gegenseitig vorwerfen, den Weinberg Gottes zu zerstören. Um diesem Teufelskreis zu entkommen, sollten wir dieses sperrige Gleichnis Jesu nicht als Urteil über andere, sondern als kritische Anfrage an uns selbst hören.

„Das Reich Gottes wird … einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt“ – so heißt es am Ende. Die Liebe zu Gott und zu den Menschen in den Herausforderungen des Alltags zu leben, gehört sicher zu solchen Früchten. Das schließt bei aller Verschiedenheit unserer Traditionen und Prägungen auch die Wertschätzung und den Respekt vor dem Anderen mit ein. Damit verbieten sich die genannten Irrwege der Interpretation dieses Gleichnisses von selbst. Lassen wir uns also diese kritische Anfrage Jesu gefallen! Dann kann dieses Sonntagsevangelium doch noch zu einer guten Nachricht werden.
 
Möge Gott durch seinen Heiligen Geist in uns solche Früchte wachsen lassen und möge er uns durch Jesus Christus auf den Weg des Friedens bringen.
 
Gisela Bornowski ist Regionalbischöfin im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Ansbach-Würzburg.