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Impulse

Unterschiedlichste Autoren im Bistum Würzburg veröffentlichen regelmäßig spirituelle Texte in Tageszeitungen, im Internet oder in Druckwerken. Die Interpretationen der christlichen Botschaft bestärken im Glauben, im alltäglichen Leben und regen zum Nachdenken an. Einige dieser Texte stellen wir hier für Sie zusammen.

"Effata!" – Gemeint sind wir

Ich höre sein "Effata" auch in unsere Richtung gesprochen. Denn unsere Stimme ist gefragt. Sie ist gefragt, wenn Menschen Unrecht geschieht, und sie selbst nicht die Chance haben, ihre Stimme zu erheben.

Evangelium

In jener Zeit verließ Jesus das Gebiet von Tyrus und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis. Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren. Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata! – das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden. Jesus verbot ihnen, jemand davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt. Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.

Markus 7,31–37

Es ist bald ein halbes Jahrhundert her, da habe ich als junger Erwachsener an einer Jugendfreizeit in Sizilien teilgenommen. Wir waren eine bunt gemischte Gruppe junger Leute. Zwei Teilnehmerinnen waren gehörlos – und begabt. Die eine beobachtete die Menschen um sich herum genau und konnte jeden so imitieren, dass man in ihrem Mienenspiel problemlos die Dargestellten erkannte. Die andere konnte das gesprochene Wort fließend vom Mund ablesen, nicht nur das auf Deutsch, sondern auch das auf Italienisch gesprochene. So war der Umgang mit den beiden völlig unkompliziert. Doch am Abreisetag kam es zu einer kleinen Katastrophe.

Eine der beiden wollte gerade mit ihrem Gepäck das Zimmer verlassen, da hatte sie plötzlich die Türklinke in der Hand. Beim Versuch, die Klinke wieder in das Schloss zu setzen, rutschte auch die Klinke auf der Außenseite der Tür heraus, das notwendige Gegenstück, damit die Klinke nicht ins Leere griff. So blieb die Tür verschlossen. Da schrie sie vor Angst, wir könnten sie in ihrem Zimmer vergessen. Schnell waren wir vor ihrer Tür versammelt und wollten ihr sagen, dass wir gleich öffnen würden. Aber sie hörte uns natürlich nicht und trommelte verzweifelt gegen die Tür. Erst ein Zettel, unter der Tür hindurchgeschoben, konnte sie aus ihrer Panik befreien. Sie war doch nicht vergessen worden.

Nichts hören kann ganz schnell in die Isolation führen. Es braucht nicht einmal eine verschlossene Tür, um zu glauben, niemand sei da, der das notwendige Verständnis aufbringt und der seinen Beitrag leistet, dass die oder der Gehörlose einfach dazugehören kann. Denn sie sind doch Menschen mit einer Besonderheit, die auf ihre ganz eigene Weise sehr gut hören können.

Dagegen kenne ich andere Menschen, die haben gesunde Ohren und hören nicht, haben einen gesunden Mund und sprechen nicht. Ihr Gehörgang ist perfekt. Sie hören also, aber hören nicht zu. Ihr Herz hat keine Ohren. Darum sind sie taub. Und weil sie nichts wahrnehmen, sind sie auch stumm und haben nichts zu sagen, so viel sie auch reden.

Manchmal muss ich leider genauso meine eigene Taubheit erleben. Wie taub ich war, merke ich allerdings mit Verzögerung, dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Ich wundere mich, dass jemand seine Beziehung zu mir abbricht. Dabei bin ich taub gewesen für ein Signal, für eine wichtige Botschaft. Genauso erlebe ich mich auch als stumm: wenn Leid und Tod und Schuld mir die Sprache verschlagen, und ich nichts mehr zu sagen weiß. Oder wenn ich im Zusammenleben mit meinen Brüdern die Ohren verschließe, weil ich glaube, selbst genug um die Ohren zu haben.

Gerade darum tröstet mich, dass ein Sprachloser zu Jesus gebracht wird. Mir sagt es, dass seine Kirche, unsere Kirche Raum sein darf und Heimat für alle Sprachlosen, auch für die, die zum Verstummen gebracht wurden. Mir sagt es auch, dass wir über unsere Sprachlosigkeit reden dürfen und sie miteinander teilen dürfen.

Ich höre sein „Effata“ auch in unsere Richtung gesprochen. Denn unsere Stimme ist gefragt. Sie ist gefragt, wenn Menschen Unrecht geschieht, und sie selbst nicht die Chance haben, ihre Stimme zu erheben. Sie ist gefragt, wenn politisches Kalkül und wirtschaftliche Interessen das Handeln der Regierenden bestimmen und Menschenschicksale ausgeblendet werden.

Unsere Stimme ist gefragt – und eigentlich noch viel mehr. Wir sind gefragt.

Pater Dominik Wernicke OSA („dominik@ augustiner.de“) ist Seelsorger an der Würzburger Augustinerkirche und Leiter des dortigen Gesprächsladens.

Das "Wort zum Sonntag" erscheint wöchentlich im Würzburger katholischen Sonntagsblatt.