Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Infos und Ideen zur Coronapandemie

Informationen, Regelungen und Angebote der Kirche in Unterfranken in der Coronakrise.

Dokumentation

„Es ist vollbracht“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Karfreitag, 10. April 2020, im Würzburger Kiliansdom


Nähe und Distanz als Leitfaden durch die heiligen drei Tage

Das Thema „Nähe und Distanz“ soll uns in diesem Jahr Leitfaden sein durch die heiligen drei Tage. Gestern am Gründonnerstag zeigte sich zum einen, dass nahe bei Jesus sein noch nicht bedeutet, auch nah bei dem zu sein, was Jesus wichtig ist. Zum anderen aber wurde deutlich, dass Jesus in der Fußwaschung den Jüngern nahe kommt und ihnen seine Nähe zeigt, ohne sie zu vereinnahmen. Seine Nähe setzt vielmehr die Jünger frei.

Karfreitag und die Frage von Nähe und Distanz

Das Thema von Nähe und Distanz begleitet uns auch heute am Karfreitag. Der Karfreitag ist gekennzeichnet durch eine gegenläufige Bewegung. Man kann das Schicksal Jesu einerseits beschreiben als eine Geschichte wachsender Distanzlosigkeit. Andererseits erfährt Jesus, wie sich immer mehr Menschen vom ihm distanzieren. Beides gehört leider wie so oft zusammen. Denn die Distanzlosigkeit von Seiten seiner Gegner wird begünstigt durch die Distanzierung von Seiten seiner Freunde und Anhänger.

Wachsende Distanzlosigkeit

Schauen wir zunächst auf die wachsende Distanzlosigkeit von Seiten der Gegner. Distanzlosigkeit bedeutet, dass Grenzen überschritten werden, die der normale menschliche Umgang und der Anstand gebieten. Diese Distanzlosigkeit kennt viele verschiedene Facetten. Sie alle lassen sich in der Passion Jesu beobachten.

• Im Blick auf die Person des Judas zeigt sich die Distanzlosigkeit schon im Abendmahlssaal. Auf die Frage, wer Jesus verraten würde, antwortet Jesus mit dem Hinweis auf den, der die Hand mit ihm in die Schüssel eintunkt (Mt 26,23). Judas – so steht zu vermuten – tunkt mit Jesus demonstrativ die Hand in die Schüssel und fragt herausfordernd, ob denn er gemeint sei, was Jesus bejaht (Mt 26,25). Mit dem Meister die Hand in die Schüssel zu tunken wird zur Demonstration der Ebenbürtigkeit. Judas stellt sich provokant auf die gleiche Ebene wie Jesus. Distanzlosigkeit als Respektlosigkeit.

• Ein zweites Mal zeigt Judas seine Distanzlosigkeit als er Jesus im Garten Gethsemani demonstrativ küsst. Mit einem Kuss zeigt der Verräter den Soldaten den, der zu verhaften ist. Der Kuss, sonst Ausdruck zärtlicher Zuwendung und Liebe, wird pervertiert. Aus Liebe wird Verachtung. Distanzlosigkeit zeigt sich in der Ironisierung, das heißt in der Umdeutung und damit Entwertung menschlicher Gesten. Judas stellt Jesus auf diese schändliche Weise bloß.

• Die Distanzlosigkeit zeigt sich auch im Verhalten des Pilatus. Der lässt über Jesus das Schild anbringen: „König der Juden“. Für die Juden eine offene Provokation. Für Jesus in seiner offensichtlichen Ohnmacht nur Spott und Hohn. Distanzlosigkeit durch bewusste Provokation und Verdrehung der Tatsachen wider besseres Wissen.

• Auch die Soldaten zeigen dem Delinquenten im Laufe der Passion ihre Distanzlosigkeit. Für sie hat Jesus als nicht-römischer Staatsbürger alle Rechte verloren. Man schlägt ihm ins Gesicht. Man peitscht ihn aus. Man treibt ungestraft seinen Spott mit ihm. Man beraubt ihn seiner Würde, indem man ihn öffentlich entkleidet und bloßstellt. Distanzlosigkeit durch Übergriffigkeit und schwerste Körperverletzung mit Todesfolge. Jesus wird zum Objekt degradiert, mit dem jeder nach Belieben und ungestraft seinen Mutwillen treiben kann.

• Eine letzte Distanzlosigkeit muss sich Jesus von seinen Mitgekreuzigten gefallen lassen. Auch sie beschimpfen ihn und fordern ihn, er solle sie und sich selbst retten, wenn er denn ein König sei. Distanzlosigkeit durch Beschimpfung. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wie wahr!Distanzlosigkeit als bedrohliche Nähe

Man kann also die Passion als eine Geschichte wachsender Distanzlosigkeit beschreiben. Aus der Distanzlosigkeit erwächst eine bedrohliche Nähe, die keine Grenzen mehr respektiert. Weil man dem Übeltäter gegenüber vermeintlich im Recht ist, darf man sich ihm gegenüber auch alles herausnehmen. Diese Nähe hat nichts mehr mit Vertrautheit zu tun, sondern wird zur Übergriffigkeit. Eine Logik, die zu Ende gedacht mit der Vernichtung des anderen endet.

Wachsende Distanzierung

Begünstigt wird diese Entwicklung dadurch, dass sich alle bisherigen Vertrauten Stück für Stück zurückziehen und Jesus seinem Schicksal überlassen. Die Passion lässt sich eben auch als Geschichte wachsender Distanzierung beschreiben.

• Petrus, der noch groß getönt hatte, seinen Herrn niemals verraten zu wollen, verleugnet ihn gleich dreimal hintereinander.

• Die anderen Jünger fliehen aus Angst.

• Pilatus selbst wäscht sich gründlich die Hände, um alle Verantwortung von sich zu weisen, die ihm doch niemand abnehmen kann.

• Die Menschenmenge, die ihm am Palmsonntag noch zugejubelt hatte, fordert seinen Tod.

• Am Ende bleiben nur noch seine Mutter und der Lieblingsjünger, die sich nicht abschrecken lassen und selbst unter dem Kreuz aushalten.

Ein bekanntes Phänomen. Erst in der Not erkennt man, wer wirklich als Freund zählt und wer sich bei der erstbesten Gelegenheit verabschiedet. Ein bitterer Moment der Offenbarung. Gerade dann, wenn man am meisten der Zuwendung und der Nähe bedürfte und auf andere angewiesen ist, gerade dann ziehen sich die vermeintlichen Freunde zurück und wollen plötzlich nichts mehr mit einem zu tun haben und nicht mehr mit einem in Verbindung gebracht werden.

Corona und die Erfahrung der Distanzierung

Viele Menschen werden sich in diesen Tagen mit Jesus identifizieren können. Die Corona-Krise zwingt uns zur Distanz, wo unter normalen Umständen Zuwendung und Nähe notwendig wären. Das gilt für die Menschen in den Altenhilfeeinrichtungen, zu denen niemand vorgelassen werden darf. Das gilt für die Patienten in den Krankenhäusern, die gerne Besuch empfangen würden. Das gilt für die vorwiegend alten Menschen, die zuhause bleiben sollen und denen der soziale Kontakt durch Gottesdienst, Einkauf und Arztbesuch versagt bleibt. Das gilt auch für diejenigen, die unter Quarantäne gestellt werden und mit der Unsicherheit leben müssen, ob die Krankheit bei ihnen ausbricht oder nicht. Auch wenn derzeit mit viel Phantasie und Hilfsbereitschaft versucht wird, diesen Mangel an Nähe zu beheben, so bleibt doch der Schmerz der Einsamkeit. Andere fühlen sich in diesen Tagen allerdings auch regelrecht alleine gelassen gerade in dem Moment, in dem sie am meisten der Unterstützung bedürften. So erleben viele Menschen ihren persönlichen Karfreitag.

Die tägliche Distanz- und Respektlosigkeit

An die tägliche Distanzlosigkeit im Umgang miteinander haben wir uns leider schon gewöhnt. Die Anonymität, die die Kommunikation über die modernen Medien erlaubt; die zunehmende Rechthaberei und damit einhergehend die abnehmende Bereitschaft, einander wirklich zuzuhören; der Zwang sich immer neu profilieren zu müssen, sie alle führen zu einem Klima, in dem allzu leicht Distanzen abgebaut werden. Der Anstand im Umgang miteinander bleibt auf der Strecke. Distanzlosigkeit wird zur Respektlosigkeit. Respektlosigkeit führt zur Übergriffigkeit. Übergriffigkeit kann in Gewalt münden, leider auch in die Tötung Andersdenkender. Auch hier zeigt sich wie in der Passion Jesu, dass die Distanzlosigkeit größer wird, wenn diejenigen, die helfen könnten, sich aus Angst zurückziehen und in Deckung gehen.

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Nähe und Distanz in Jesu Gebet am Kreuz

Was Jesus widerfährt, das Allein-Gelassen-Werden und das Ausgeliefert-Sein spiegelt sich in seinem Beten. Es mündet in den Schrei am Karfreitag „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus schreit seine Verzweiflung, seine Enttäuschung und seinen Schmerz heraus. Der Ruf am Kreuz wird zum Ausdruck der Gottverlassenheit. Jesus erlebt die Distanz zu Gott, die im Angesicht seines gewaltsamen Todes unermesslich wird.

Aber zugleich ist dieser Ruf ein Wort aus Psalm 22. Er ist ein Gebet. Wer betet, weiß sich trotz allem in Gottes Nähe. Mehr noch: Jesus identifiziert sich mit allen Betern vor ihm, die wie er in aussichtslosen Situationen waren. Er schließt auch uns in unserer Not in sein Gebet mit ein. Seit der Menschensohn am Kreuz stirbt und betet, ist kein Mensch mehr im Leiden von Gott verlassen. Er bleibt im Gebetsschrei Jesu am Kreuz mit Gott verbunden. Das war Jesu Auftrag und seine Sendung. Deshalb kann er am Ende im Johannesevangelium sagen: „Es ist vollbracht.“ Danken wir dem Herrn für seine Nähe im Leid. Denn er lässt uns nicht allein in unserer Not. Amen.