Erntedank. Ein Wochenende, das uns dazu einlädt, Dankbarkeit bewusst zu spüren. Aber wofür genau sollen wir eigentlich dankbar sein? Für das tägliche Brot auf unserem Tisch – die Arbeit, die unser Leben ermöglicht – oder die kleinen Dinge im Alltag, die oft unbeachtet bleiben? Und wie oft nehmen wir diese Dinge einfach als selbstverständlich hin – ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie sie überhaupt möglich werden?
Vielleicht ist genau das der Punkt, an dem Erntedank besonders wertvoll wird: Dankbarkeit ist mehr als ein Wort, mehr als ein Ritual. Sie beginnt dort, wo wir hinschauen, aufmerksam sind und selbst Verantwortung übernehmen. Ich darf dankbar sein für die Nahrung auf meinem Teller – aber nur, wenn ich sehe, dass sie aus Arbeit, Zeit und Pflege gewachsen ist und bereit bin, selbst einen Beitrag zu leisten, sei es durch Aufmerksamkeit oder Respekt oder sogar eigenes Handeln.
Ich ertappe mich oft dabei, vieles als selbstverständlich hinzunehmen: die Arbeit anderer, die kleinen Gesten im Alltag, die Versorgung mit Lebensmitteln, die Natur um uns herum. Wir nehmen vieles als gegeben hin, während doch hinter jedem Apfel, jedem Glas Wasser und jedem warmen Zimmer Menschen, Zeit und Arbeit stecken. Wir konsumieren Glücksgefühle durch unseren Alltag, als sei alles einfach da – und übersehen dabei, dass auch wir einen Teil dazu beitragen könnten, dass es so bleibt.
Erntedank ist also kein bloßer Blick zurück, sondern ein Augenblick der Achtsamkeit. Wer wirklich dankbar sein will, kann sehen, wie alles zusammenhängt und selbst einen bzw. seinen oder ihren Beitrag leisten. Vielleicht ist es sogar an der Zeit, sich zu fragen: Was tue ich eigentlich selbst, damit das, wofür ich dankbar bin, möglich bleibt?
Dieses Wochenende also kein stilles „Danke“, sondern ein bewusstes: Ich sehe, ich achte, ich trage bei. Ich danke nicht nur für das, was mir zufällt, sondern auch für alles, was ich gemeinsam mit anderen möglich mache. Dann wird Erntedank mehr als Tradition – dann wird es ein Moment, der uns aufmerksam macht, unsere Verantwortung spüren lässt und das Leben in seiner Fülle wirklich wertschätzt.
Diakon Timo Richter, Ev. Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Würzburg