Die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache als offizielle Sprache jährt sich in diesem Jahr zum zwanzigsten Mal. Für gehörlose Menschen war diese Anerkennung damals ein wichtiger Schritt zur Teilhabe in unserer Gesellschaft. Denn jahrzehntelang wurde die Gebärdensprache in Deutschland unterdrückt. Ältere Gehörlose berichten heute noch davon, dass es in der Schule etwas auf die Finger gab, wenn sie beim Gebärden erwischt wurden. „Du sollst schön sprechen lernen! Denn nur so kannst du dich in einer hörenden Welt zurechtfinden und dich in die Gesellschaft integrieren!“, so wurde ihnen gesagt. Man muss sich das einmal vorstellen: Es wurde gehörlosen Menschen untersagt, sich in ihrer Muttersprache auszudrücken und zu kommunizieren.
Glücklicherweise hat sich das bis heute grundlegend geändert. Auch die Kirche hat dazu beigetragen. Schon vor über hundert Jahren haben Pfarrer die Gebärdensprache erlernt, Gottesdienste mit tauben Menschen in ihrer Muttersprache gefeiert und Ausdruck für die frohe Botschaft in Gebärden gefunden.
Die Bibel erzählt im Markusevangelium von der Begegnung Jesu mit einem Tauben. Vielleicht ist es seine Familie oder es sind Freunde und Bekannte, die ihn zu Jesus bringen. Der Taube hat diese Entscheidung jedenfalls nicht selbst getroffen. Die Menschen um ihn herum sprechen nicht mit ihm, sondern über ihn. Sie überlegen, was das Beste für ihn ist, ohne ihn selbst zu fragen. Er lebt nur in seiner Stille. Seine Taubheit ist wie eine Mauer, die ihn von den anderen trennt.
Und Jesus? Er nimmt den Mann einfach beiseite, weg von der diskutierenden Menge. Er schaut nicht mitleidig auf den Tauben herab. Er stellt auch keine Überlegungen an und redet auf den Tauben ein. Er schaut ihm freundlich und offen in die Augen und scheut sich auch nicht vor einer Berührung. Die Mauer der Isolation zerbricht. Der Taube kann verstehen und kommunizieren. Ein Wunder!
Gelingende Kommunikation, dafür braucht es Augenhöhe und Verständnis für die Situation des Gegenübers – das ist für mich der wichtigste Erkenntnisgewinn aus dieser Geschichte.
Echtes Verstehen und Verständnis für mein Gegenüber gehören zusammen. Und das gilt für uns alle. Dort, wo wir uns wirklich auf Augenhöhe begegnen, dort, wo wir Verständnis für einander haben, ist wirkliches Verstehen und gelingende Kommunikation möglich. Und ist das nicht schon ein Wunder an sich?
Horst Sauer, Pfarrer der evangelisch-lutherischen gebärdensprachlichen Kirchengemeinde in Bayern
Der Impuls "Wort zum Wochenende" erscheint wöchentlich auf der Internetseite der Kirche in der Region Würzburg.